21.10.2021
Digitaler Angebotsprozess
Karsten Voigt
„Meine Produkte lassen sich nicht digital verkaufen.“ oder „Mein Vertrieb funktioniert nur über die direkte Kommunikation mit meinen Kunden!“ Diese Sprüche hört man oft, wenn es um den Verkauf komplexer, industrieller Produkte geht. Doch stimmt das wirklich und was macht den eigentlichen Verkaufsprozess aus? Wünschen sich nicht viele Kunden schnelle, werthaltige Informationen auch zu komplexen Produkten? Natürlich weiß der Einkäufer einer Gasturbine oder Lüftungsanlage, dass diese nicht einfach wie bei Amazon in den Warenkorb gelegt und bestellt werden kann. Trotzdem soll die Kommunikation zum Produkteinkauf und der Austausch von Dokumenten digital erfolgen.
Dabei geschieht die Beschaffung von Verschleiß-/ Verbrauchsmaterialien oder auch Ersatzteilen heute schon vorrangig online. Es kommen automatisierte elektronische Bestellungen via EDI, Beschaffungsportale, Marktplätze und eigene Shops zum Einsatz. Viele Kunden sind die digitalen Wege der Kommunikation also bereits gewöhnt.
Nach einem kleinen Einblick in die Konfiguration von Produkten im E-Commerce (Blogbeitrag: Wie kann ich meine komplexen Produkte einfach verkaufen?), wollen wir uns jetzt ein weiteres Puzzleteil aus dem Verkaufsprozess anschauen. Im Folgenden betrachten wir, wie Angebote effizient zwischen Vertrieb und Kunde ausgetauscht werden können.
Aus Sicht von Produkt- und Lösungsanbietern ist ein effizienter Vertrieb immer erstrebenswert. Je mehr Prozesse digital abbildbar sind, desto mehr Zeit bleibt für die Betreuung kritischer Kunden oder kann in Maßnahmen für die Gewinnung neuer Kunden gesteckt werden. Der physische Vertrieb wird durch die Digitalisierung nicht ersetzt, sondern kann seinen Fokus auf werthaltige Aufgaben legen. Aber egal wie gut der digitale Kanal gestaltet wird, für den Vertrieb hochkomplexer Produkte oder auch den Verkauf von Diensten im Projektgeschäft, ist eine direkte Verbindung des Kunden zum Vertrieb notwendig. Der Vertriebler stellt eine Beziehung auf menschlicher Ebene her. Er kennt den Kunden mit seinen Wünschen, Geschäftsideen, Herausforderungen und Eigenheiten.
Auf der anderen Seite steht der Kunde mit dem Wunsch, eine komplexe Leistung einzukaufen. Der Kunde kennt seine eigenen Rahmenparameter und weiß meist, was er möchte. Über einen Konfigurator wählt er erforderliche Produkte aus, sucht dazugehörige Serviceleistungen und Zubehörprodukte. Eventuell nutzt er auch bestehende Bestellungen bzw. Projekte als Blaupause für die neue Anfrage. Ist der Warenkorb gefüllt, wünscht sich der Kunde ein individuelles, auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes Angebot. Gleichzeitig ist es sinnvoll, die konfigurierten Leistungen durch einen fachlichen/ technischen Experten zu überprüfen. Hier kommt dann der Vertrieb wieder direkt ins Spiel.
Die folgende Grafik gibt einen groben Überblick des möglichen Prozesses. Der Kunde arbeitet dabei in einer E-Commerce Lösung und der Vertrieb in einer Lösung für die Angebotserstellung, welche optimalerweise direkt in die CRM-Anwendung integriert ist.
Von der Angebotsanfrage bis zur Bestellung werden mehrere Schritte durchlaufen:
Im konkreten Anwendungsfall kann der Prozess an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden. Die Kunst besteht darin, den fachlichen Anforderungen gerecht zu werden und gleichzeitig den Gesamtprozess so einfach wie möglich zu gestalten. Sowohl der Kunde als auch der Vertrieb sollen effizient ihre Arbeit erledigen können.
Im Blogbeitrag wurde die Produktkonfiguration auf Grundlage von SAP Lösungen betrachtet. Dieser Ansatz kann auch für den digitalen Angebotsprozess erweitert werden. Die folgende Abbildung zeigt ein mögliches Setup. Natürlich können hier auch einzelne Lösungsbausteine durch Anwendungen anderer Hersteller oder auch Eigenimplementierungen ersetzt werden.
Alle relevanten Stammdaten, wie Kunden- oder Materialdaten, kommen aus dem ERP System. Die Wissensbasis für komplexe Konfigurationen liegt ebenso im ERP. Diese Daten werden über die SAP Business Technology Plattform (BTP) anderen Lösungen zur Verfügung gestellt. Einen besonderen Stellenwert nimmt dabei der Variant Configuration & Pricing Service ein. Dieser Service repliziert die komplette Wissensdatenbank für die Konfiguration in die Cloud und ermöglicht die Überprüfung von Produktvariationen direkt in der Cloud. Das ERP System muss für Konfigurationen durch den Vertrieb oder Kunden nicht erneut angefragt werden. Egal in welchem Tool man unterwegs ist, es wird immer mit den gleichen Stammdaten gearbeitet.
Für den Endkunden kommt die SAP Commerce Cloud zum Einsatz. Hier können Produkte konfiguriert oder Warenkörbe zusammengestellt werden. Die klassischen Mittel eines E-Commerce-Kanals stehen dem Kunden zur Verfügung. Die SAP Commerce Cloud unterstützt bereits im Standard einen RFQ (Request for Quote) Prozess für den digitalen Austausch von Angebotsinformationen. Die Angebotsanfrage wird nahtlos in das CPQ (Configure Price Quote) System übertragen. Dort kann der Vertriebsmitarbeiter auf dieselbe Konfiguration des Kunden zugreifen und sieht alle angefragten Produkte und Mengen. Im CPQ arbeitet der Vertriebler und erstellt das individuelle Angebot für den Kunden. Nach der Angebotsfreigabe wird dieses wieder automatisch in die E-Commerce-Lösung überführt und kann dort vom Kunden bestellt werden.
Die nahtlose Integration der verschiedenen Lösungen mit einer konsistenten Sicht auf alle relevanten Daten für alle Nutzerkreise bildet die Grundlage für die Digitalisierung des Vertriebsprozesses. Vorgefertigte Schnittstellen und ein gutes Verständnis der vorhandenen Datenstrukturen sorgen für ein schnelles Setup der gewünschten Lösungen.
Der Vertrieb komplexer Produkte wird immer einen gut geschulten Vertrieb benötigen. Wichtige Accounts und Schlüsselkunden benötigen eine persönliche Betreuung. Die Digitalisierung des Vertriebsprozesses bei gleichzeitiger Einbindung des Kunden hilft jedoch den Vertrieb von Standardaufgaben zu entlasten. Der Kunde wird befähigt notwendige Informationen selbst zu beschaffen und gleichzeitig Produktwünsche digital zu kommunizieren. Jegliche notwendige Kommunikation von der Angebotsanfrage über die Angebotsverhandlung bis zur Bestellung kann digital erfolgen. Folgebestellungen werden für den Kunden und Vertrieb ebenso einfacher, da die alten Aufträge mit allen relevanten Daten vorliegen und erneut prozessiert werden können.
Kunden können Ihren Informationsbedarf jederzeit stillen und der Vertrieb kann fokussierter kritische Kunden betreuen. Am Ende haben Kunden und Vertrieb mehr Zeit für die eigenen wesentlichen Aufgaben.