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13.10.2022
E-Commerce | Shopware
Christian Knauf | Head of Extended Operations II

Online-Marktplatz statt eigener Webshop? – Das müssen Sie beachten

Eine oberflächliche Web-Recherche lässt schnell vermuten, dass heutzutage kein Webshop mehr notwendig ist, um eCommerce zu betreiben. So wird deutlich, dass im Jahre 2021 über die Hälfte (54%) des gesamten Umsatzes im deutschen Online-Handel (86,7 Mrd. €) allein durch oder über Amazon umgesetzt wurde ¹

Die großen Marktplätze im B2C Bereich, wie Amazon, eBay, Hood, und Amazon Business, Mercateo, Wucato im B2B Bereich, bieten zahlreiche Komfortfunktionen, die einen leichten Einstieg ohne besondere Anlaufkosten ermöglichen. Für einen Business-Account wird häufig nur ein geringer monatlicher Fixpreis veranschlagt oder ist gar kostenfrei. Die Out-of-the-box Funktionalitäten umfassen neben dem Listing der eigenen Produkte auch die Bereitstellung eines Checkouts inklusive Payment-Service-Provider (PSP) á la Amazon Pay, PayPal oder Adyen. Gegen Vorlage eines Nachweises der Firmenadresse und Gewerbeanmeldung gelingt die Anmeldung innerhalb weniger Tage.  
Weiterhin gibt es das Rundum-sorglos-Paket, aka Fulfillment. Das beinhaltet unter anderem die Übernahme des Versandes, Lagerung der Waren, Management der Retouren und die Beantwortung von Kundenanfragen. Für den B2B-Bereich weiterführende eCommerce-Funktionen, wie gut dokumentierte APIs und Punch-Out stehen ebenso zur Verfügung.

Das klingt doch alles nach einer runden Lösung, oder?

Brauche ich denn jetzt noch einen Shop?

Um herauszufinden, ob ein eigener Shop die bessere Lösung ist, lohnt es sich verschiedene Bereiche zu betrachten und somit “Must-haves” zu identifizieren.

Gebührenstruktur
Die meisten Marktplätze finanzieren ihren Service über Gebühren auf den Brutto-Umsatz. Nicht alle Warenklassen haben eine Marge, die Verkaufsgebühren, wie bei Amazon, von 10%, 15% oder noch mehr verkraften ². Bei diesem variablen Anteil ist es oft auch unerheblich, ob 1.000 € oder 1 Mio. € umgesetzt werden, das heißt, Skalenerträge sind praktisch nicht vorhanden.
Im eigenen Shop gibt es selbstverständlich auch Kosten wie, der tendenziell geringe Kostenblock, “Hosting” und Performance-Marketing-Ausgaben, die sich allerdings meist sehr granular steuern lassen. Bei vielen Payment-Service-Anbietern sind Volumen-abhängige Gebührenstrukturen üblich, so dass die Marge bei positivem Wachstum weniger stark belastet wird. 

Marktplatz-(Service)-Regeln
Sie unterwerfen sich dem Service-Level, welche der Marktplatz vorgibt. Auf den ersten Blick eine kundenfreundliche Lösung, für den Händler manchmal durchaus ärgerlich. Beispielsweise, wenn Sie über ein langes Wochenende nicht auf eine Kundenanfrage reagieren und der Kundenservice des Marktplatzes deswegen einen Kundenfall mit Mängelanzeige zugunsten des Käufers schließt. Bei der Erstattung, auch ohne Rücksendung durch den Käufer, haben sie dann meist kein Mitspracherecht mehr.
In ihren eigenen AGB würden nur die wenigsten Händler solche Auflagen machen. Auch die Ausweisung einer absolut korrekten Verfügbarkeit und Lieferdauer ist bei Marktplätzen verpflichtend.

Abhängigkeit vom Betreiber
Es bedarf bei den meisten großen Marktplätzen etwa fünf Minuten und einen Hinweis an den Kundenservice, dass die Produkte eine Fälschung sind – auch ohne stichhaltigen Beweis. Das reicht, um Ihren Account, mindestens vorläufig, vollständig lahmzulegen. Vor allem zu saisonalen Stoßzeiten, wie der Vorweihnachtszeit im B2C-Bereich schlagen Null-Euro-Umsätze hart in die Bücher und können durchaus existenzbedrohend sein. Beim eigenen Shop kann natürlich auch eine Abmahnung bei falschen oder wettbewerbswidrigen Verhalten erfolgen, jedoch sind diese nur selten mit einem sofortigem Stillstand Ihres Vertriebskanales verbunden.

Marktplatzpreise
Auf Marktplätzen herrscht weitestgehend Preistransparenz. Zum Beispiel weil die Preise mehrerer Händler gleichzeitig angezeigt werden oder weil in der Buy-Box (Zusammengefasste Darstellung von Produktdaten bei gleichen Produkten von verschiedenen Verkäufern) nur der niedrigste angezeigt wird. Somit kann sich der Kunde immer aktiv dafür entscheiden kann, den günstigsten Anbieter und Preis zu nehmen. Bei sonst gleichen Produkten, die zum Beispiel über EAN, UPC, ASIN oder ISBN identifiziert werden, schmälert das die Marge und steigert den Wettbewerb bis zur völligen Unwirtschaftlichkeit. Für B2C meist ausreichend, findet auf B2B-Marktplätzen oft keine kundenindividuelle Preisgestaltung, wie im Geschäftskundenbereich üblich, statt. Hier muss meist auf einige wenige Rabattstufen/Preisregeln und einfache Staffelpreise ausgewichen werden, da eine Echtzeitabfrage gegen das Verkäufer-ERP mittels API nicht möglich ist.

(Händler)-Differenzierungsmerkmale
Marktplätzen ist zu eigen, dass die Produkte auf standardisierte Weise im Katalog dargestellt werden sollen. Eine Differenzierung über besonders ausführliche Produktbeschreibungen und Zusatzinformationen, wie downloadbare Betriebsanleitungen, Pflegehinweise, technische Zeichnungen oder weiterführenden Content gegenüber anderen Händlern ist nur über standardisierte Felder vorgesehen.  
Im eigenen Shop kann das Produktmodel komplexer und umfangreicher gestaltet und auf die eigenen Bedürfnisse, sowie der Bedürfnisse der Kunden ausgerichtet werden.  
Auch unterbinden Marktplätze regelmäßig jegliche ausgehende Verlinkung als Voraussetzung für die Teilnahme. Der Marktplatz ist quasi von Ihrem Content-Management-, Microsite- oder Social-Media-Auftritt entkoppelt.

Markenpräsentation
Sie sind OEM oder pflegen eine besondere Traditionsmarke? Nichts verringert die Strahlkraft Ihrer Marke mehr als die Reduzierung auf ein winziges Logo. Die Darstellung Ihrer Premium-Produkte in einer Ergebnisliste zusammen mit acht gleichen Produkten von anderen Wiederverkäufern, sowie diversen Import-Produkten erledigt ihr übriges. Ungünstig ist auch, wenn alle Produkte das gleiche Herstellerbild (Ihr Herstellerbild) benutzen.
Markenhersteller scheuen daher regelmäßig die Listung ihrer Produkte auf Marktplätzen. Teilweise untersagen sie über ihre Einkaufsbedingungen auch Wiederverkäufern die Listung auf bestimmten Vertriebskanälen oder Regionen.

Im Wettlauf mit dem Marktplatz
Sie sind besonders erfolgreich mit einem Produkt einer bekannten Marke oder White-Label-Lösung eines Produkttyps. Nun beginnt die Uhr zu ticken. Sie sind nun nicht nur in Konkurrenz mit anderen Händlern, sondern in Kürze auch mit dem Marktplatz selbst, wenn dieser auch eigene Produkte verkauft. Sollten Sie den Beweis für eine gewisse Umsatzkraft eines Produktes erbracht haben, ist es nicht unüblich, dass der Marktplatz die Verbindung mit dem Hersteller aufnimmt oder ein ähnliches Produkt unter eigenem Label auf den Markt bringt.
Natürlich kann auch bei einem Webshop die Konkurrenz Produktdaten teilweise automatisiert auslesen (Web Scrabbing), jedoch liefern Sie die Produkt- und Umsatzdaten nicht freiwillig aus.

Und nun? Marktplatz oder eigener Shop?

Was bleibt, ist am Ende hoffentlich eine differenziertere Betrachtung. Es gilt abzuwägen, wie man die eigenen Dienstleistungen oder Waren im World Wide Web präsentieren und in welches Abhängigkeitsverhältnis man sich begeben will. Das Gleiche gilt auch für die Darstellung auf Preissuchmaschinen wie Google Merchant Center oder idealo, oder Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Pinterest.

Wenn es neben dem Produkt das Differenzierungsmerkmal ist, dem Kunden Mehrwerte durch Zusatzfunktionen zu bieten, dann ist der eigene Webshop dafür der richtige Platz. In diesem können Sie Konfiguratoren, kundenindividuelle Preise, Verkaufsberater (Guided-Selling) oder ein Servicecenter mit umfangreicher Dokumentation, Pflegehinweisen, CAD-Zeichnungen und zahlreichen weiteren Funktionen einbauen. Damit bieten Sie eine bessere User Experience und schaffen die Basis für langfristige Kundenbeziehungen.
Über die eigene Plattform haben Sie die Kontrolle! Das bedeutet auch, dass Sie für weitere Funktionen, wie Fulfillment, Kundendienst, sowie die Weiterentwicklung der Plattform verantwortlich sind und gegebenenfalls auf zusätzliche Anbieter oder externes IT- und E-Commerce-Knowhow zurückgreifen müssen.

Bei Marktplätzen mit großer Kundenbasis brauchen Sie sich keine Gedanken machen, Ihre Shop-Domain durch zahlreiche Marketing-Maßnahmen langwierig aufzubauen und sichtbar zu halten.
Ist ein schneller Markteinstieg mit einem standardisierten Produkt, in einem fernen Land ohne Tochterunternehmen oder Handelsvertreter vor Ort gewünscht, kann auch ein Marktplatz der bessere Vertriebskanal sein. Somit können Sie neue Absatzmärkte mit minimalem Budget erschließen.

Im Rückblick auf den Betrieb von Multi-Channel-Lösungen der letzten 10 Jahre, können Shop und Marktplatz, oder weitere Vertriebskanäle, auch wirtschaftlich sinnvoll nebeneinander existieren und sich ergänzen. Die Umsatz- und Margensubstitution kann z.B. durch eine geschickte Channel-abhängige Preisdifferenzierung oder Sortimentstrennung unterbunden werden. Ganz generell empfiehlt sich bei Absatzkanälen, welche die gleichen Kunden erreichen, eine gesamtheitliche eCommerce-Strategie anzuwenden.


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